Vergiss die Sorge! Überlegungen zur Analyse von Konzepten der Sorge in der altägyptischen Funerärkultur

Monika Zöller-Engelhardt

sḏm r⸗k n⸗j m⸗k nfr sḏm n rmṯ.w
šms hrw nfr smḫ mḥ

Höre doch auf mich! Siehe, gut ist das Hören für die Menschen.
Folge einem schönen Tag, vergiss die Sorge!

Aus dem „Gespräch eines Lebensmüden mit seinem Ba“
Papyrus Berlin 3024 und Papyrus Amherst 3; 12. Dynastie (ca. 1938–1759 v. Chr.)

1. Einleitung

In heutigen westlich geprägten Gesellschaften scheint es, dass Sorgen bzw. sich Sorgen zu machen allgegenwärtig ist. Forschende bezeichnen moderne Zivilisationsformen gar als „Sorgegesellschaft[en]“ (Karle 2019, 19). Damit werden vor allem die negativ konnotierten Aspekte alltäglicher Sorgen in den Vordergrund gestellt, wie Sorge um die eigene Zukunft, Sorge um die Angehörigen, den eigenen Arbeitsplatz oder die Umwelt (Henkel u. a. 2019, 7). Der planerische Zukunftsbezug von Sorge, in welchem die zukünftige Gegenwart zur Herausforderung der gegenwärtigen Zukunft wird, wird teils explizit als „Spezifikum der Moderne“ (Henkel 2016, 35) angesprochen. Sorge ist jedoch nicht rein als geradliniger Gedanke des Individuums an eine mögliche Zukunft zu verstehen, sondern berührt als Untersuchungsgegenstand unter anderem Bereiche der Soziologie, Psychologie, Philosophie und Ethik sowie Theologie.

Sorge ist zudem kein ausschließlich modernes Phänomen. Auch vergangene Gesellschaften weisen Aspekte der Sorge auf, sind aber meist noch nicht in dieser Hinsicht untersucht worden. Dies zeigte sich nicht zuletzt in den Vorträgen unterschiedlicher Disziplinen beim Workshop „Sorge(n) des Lebens. Herausforderungen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aus Sicht der Ancient Studies“ am 1. Juli 2022 an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, der im Rahmen des Profilbereichs „40,000 Years of Human Challenges. Perception, Conceptualization and Coping in Premodern Societies“ durchgeführt wurde (siehe Schreiber – Zöller-Engelhardt 2022).

Die Erforschung von Formen der Sorge in frühen Kulturen lohnt aus mehrerlei Hinsicht: Einerseits lässt sich aus ihrer Betrachtung mehr über die Menschen der Vergangenheit, ihre sozialen Beziehungen und persönlichen Motivationen erfahren. Insbesondere hilft der Blickwinkel der Sorge besser zu verstehen, wie Handlungen in konkreten Situationen motiviert und Herausforderungen bewältigt wurden. Zudem kann die Untersuchung von Konzepten der Sorge in frühen Gesellschaften helfen, die Genealogie der Sorge zu analysieren und mehr über die Entwicklung des Individuums, aber vor allem auch zwischenmenschliche Beziehungsrelationen zu erfahren. Andererseits kann ein besseres Verständnis vormoderner Konzeptionsprozesse und Handlungsmotivationen im Umkehrschluss viel dazu beitragen, heutige Konzepte von Sorge tiefer zu durchdringen sowie einen weiten kulturellen und zeithistorischen Horizont aufzuspannen (vgl. Henkel u. a. 2019, 8; Narvaez 2019).

Im vorliegenden Beitrag möchte ich daher erste Überlegungen präsentieren, wie moderne Theorien der Sorge für die Analyse von Konzepten in einer vormodernen Gesellschaft, in diesem Fall dem Alten Ägypten, erprobt werden könnten. Dafür möchte ich einen Entwurf zur Operationalisierbarkeit von Untersuchungskriterien anbieten, um Dimensionen der Sorge in diesem Kontext erfassen zu können. Im Projekt „Konzepte der Sorge in der altägyptischen Funerärkultur“1 im Rahmen der Thematic Area 1 „Umsorgtes Leben“ des genannten Profilbereichs „Challenges“ der JGU Mainz werde ich dies weiterführend untersuchen. Für die Analyse treffe ich zwei Vorannahmen:

  • Es hat Dimensionen der Sorge nach der unten zu erläuternden Definition im Alten Ägypten gegeben.
  • Diese lassen sich in textlichen und materiellen Quellen für die altägyptische Funerärkultur nachweisen.

Zu berücksichtigen gilt, wie auch Stefan Schreiber (2022, 19–20) in Bezugnahme auf Lorna Tilley betont, dass in der Erstellung funktionalistischer Kategorien und Operationalisierungen auch die Gefahr einer zu starken Begrenzung des Verständnisses von Sorge besteht. Dieser konzeptionellen Engung möchte ich mit einem theoriegeleiteten soziologischen Hintergrund begegnen, der im zweiten Abschnitt vorgestellt wird.
Im dritten Abschnitt werden lexikalisch-semantische Hinweise zur Bedeutungssphäre [SORGE] gegeben, während ich im vierten Abschnitt Kriterien und Untersuchungsebenen elaboriere, die eine Analyse von Konzepten der Sorge in der altägyptischen Kultur ermöglichen könnten.

2. Moderner Begriff [SORGE] und Definition von Sorge aus philosophischer, soziologischer und psychologischer Sicht

Der Begriff [SORGE] umfasst im deutschsprachigen Raum ein weites Wortfeld, das zahlreiche semantische Ausprägungen vereint. Darunter fallen Ableitungen wie Vorsorge, Fürsorge, Versorgung, Sorgfalt, Sorgsamkeit, Sorglosigkeit bei Gefahren u. a. [SORGE] kann als Versorgung, Pflege, Angst, Sorgfalt, Gram, Planung, Organisation oder strategisches Handeln in Erscheinung treten (Henkel u. a. 2019, 8). Interessant ist, dass die deutschsprachige semantische Sphäre [SORGE] beispielsweise im Englischen durch zahlreiche unterschiedliche Begriffe wiedergegeben werden muss. Klassischerweise wird [SORGE] im Heideggerschen Sinn als care übersetzt (Heidegger 2001). Die individuelle Variante sorgenvoll-emotionaler zukunftsgerichteter Gedanken wird als worry, Vorsorge als provision, jemanden versorgen als taking care of oder looking after somebody und Dinge besorgen als procure übertragen.2 Der lateinische Wortstamm cura bezieht hingegen ebenfalls mehrere Dimensionen mit ein, darunter ängstliche Bemühung, aber auch Sorgfalt und Hingabe (Heidegger 1967 [1927], 199). Insbesondere die Mehrdeutigkeit des deutschen Begriffes [SORGE], der ängstlich-besorgtes Sorgen und ein fürsorglich-pflegen-des, vorausschauendes Kümmern verbindet, macht die Sphäre [SORGE] zu einer geeigneten Analysekategorie (vgl. Sasse 2019, 52). Hierin vereinen sich verschiedene Aspekte zukunftsgerichteter gedanklicher Prozesse und handlungsmotivierender Strukturen, die Aufschluss über menschliches Handeln in konkreten Situationen geben können.

Eine Definition von Sorge für die hier verfolgte Forschungsfrage lässt sich nicht aus einer einzelnen Disziplin heraus vornehmen, da Sorge bereits wissenschaftsgeschichtlich mehrere Gebiete berührt und in moderner Analyse grundlegend soziologische Fragen von überindividueller und zwischenmenschlicher Interaktion ebenso beinhaltet wie Ebenen der psychologischen Emotionsforschung oder Betrachtungen philosophischer Natur. Der aufgrund seiner national-sozialistischen Gesinnung seit langem auch kritisch rezipierte3 Philosoph Martin Heidegger beispielsweise verstand die Sorge als „allgemeine Vollzugsstruktur des Daseins“ (Lindemann 2016, 78, basierend auf Heidegger 1967 [1927], 191–200). Während sich Aspekte von Sorge somit aus einzelnen fachlichen Perspektiven betrachten lassen, ist es sinnvoll, bei der Analyse vormoderner Konzepte verschiedene Blickwinkel einzubeziehen, um der lückenhaften Beleglage zu begegnen (siehe Abschnitt 4). Dies ermöglicht die Untersuchung von Konzepten der Sorge, ohne sie bereits zu stark einzuengen.

2.1 Philosophischer Blickwinkel

Um sich dem Phänomen der Sorge zu nähern, werden im Folgenden zunächst die philosophischen Ausführungen Heideggers knapp dargestellt, um die Basis für den aktuellen soziologischen Rahmen Gesa Lindemanns u. a. zu bilden. Heidegger versteht unter Sorge eine ganzheitliche Struktur, die über reine Handlungsakte hinausgeht:

„Daher mißlingt auch der Versuch, das Phänomen der Sorge in einer wesenhaft unzerreißbaren Ganzheit auf besondere Akte oder Triebe wie Wollen und Wünschen oder Drang und Hang zurückzuleiten, bzw. aus ihnen zusammenzubauen.“ (Heidegger 1967 [1927], 193–194)

Sorge beinhaltet nach Heidegger ein handlungsmotivierendes Wollen, aber gleichzeitig auch ein „Worumwillen überhaupt“, was ein „Sich-vorweg-sein“ als grundlegenden Bestandteil integriert (Heidegger 1967 [1927], 194). Anna Henkel u. a. formulieren dazu: „Alle Wesen, die sich durch die Fähigkeit des Heraustretens aus ihrem unmittelbaren Hier und Jetzt auszeichnen, können sich sorgen.“ (Henkel u. a. 2016, 21)

Weitere Aspekte der Sorge bilden laut Heidegger die „Erschlossenheit von Besorgbarem (Welt als das Worin des schon-Seins)“ und ein vorausschauender Blick auf zukünftige Möglichkeiten inklusive der abwandelnden Bedingung eines „Seinkönnens“ zu „‚gewollten Seiendem‘“ (Heidegger 1967 [1927], 194–195). Bei den Ausprägungen der Sorge unterscheidet Heidegger die Sorge um das Selbst/Sorge um sich (Besorgen) und die Sorge um andere (Fürsorge) (Heidegger 1967 [1927], 193).

Folgende Aspekte einer Definition von Sorge sind in Heideggers Ausführungen somit enthalten:

  • Sorge stellt eine übergreifende Struktur des Seins dar, die in verschiedenen Ausprägungen Ausdruck findet (z. B. Wollen, Wünschen, Hang und Drang), dadurch aber nicht eingeschränkt wird;
  • Sorge bezieht sich auf etwas, nicht rein auf das Selbst (Besorgen), sondern beispielsweise auch auf die Mitwelt (Fürsorge);
  • Sorge ist ein „Sich-vorweg-sein“ mit zeitlicher Komponente;
  • Sorge öffnet Möglichkeits- und Handlungsspielräume, die aber nicht notwendigerweise genutzt werden müssen oder können (z. B. Wollen vs. Wünschen).
2.2 Soziologischer Blickwinkel

Aus vor allem soziologischer und theologischer Sicht haben in den letzten Jahren die Forschungen von Gesa Lindemann, Anna Henkel, Isolde Karle und Micha Werner des Forschungsschwerpunkts „Dimensionen der Sorge“ am Evangelischen Studienwerk Villigst die Überlegungen zu Konzepten der Sorge vorangebracht. Grundlegend werden dort drei Dimensionen der Sorge unterschieden (Henkel u. a. 2016, 10):

  • die Sorge um sich;
  • die Sorge um andere;
  • die Sorge um die Umwelt.

Diese Dreiteilung bezieht sich auf das Worum der Sorge, die intentional auf etwas gerichtete Sorge. Zudem ergänzen Henkel u. a. (2019, 9–10) noch drei weitere Dimensionen der Sorge, die als relevante Rahmenbedingungen die Analysekategorien vervollständigen:

  • die Ausstattung des Individuums (seine natürlichen und psychischen Ressourcen, seine biographische Lebensgeschichte sowie sein Vermögen und Wille zur Weltabwendung);
  • die Situation der Sorge-Beziehung ([mehrere] Beteiligte, deren soziale Prägung, z. B. durch Ethik, Religion, soziale Normen [die habitualisiert oder institutionalisiert sein können]);
  • der kulturelle Rahmen (das Zusammenwirken individueller Dispositionen sowie ethisch-religiöser oder professioneller Rahmen, was Auswirkungen auf die Sorge-Beziehung hat).

Neben Ausrichtung und Kontext von Sorge gehören zur Analyse des Phänomens weitere Überlegungen, darunter (Henkel 2016, 44):

  • Welche „Einheit“ sorgt sich? Dies können im Sinne der philosophischen Anthropologie Plessners „leibliche Aktionszentren“ sein, gleichermaßen aber auch schlicht „Menschen“ oder aus systemtheoretischer soziologischer Sicht „um leib-körperhaften Sinn erweiterte Konzeptionen sinnhaften Prozessierens“ (Henkel 2016, 44). Bemerkenswert ist in dieser Hinsicht die Beobachtung Lindemanns (2019, 65), dass in modernen Gesellschaften nur lebende Menschen als legitime Personen (Körperindividuen) gelten und sich somit sorgen können. Lindemann verweist darauf, dass dies in früheren Epochen Europas, z. B. beim Seelenindividualismus, nicht der Fall war. Diese Frage spielt für die Erforschung vormoderner Gesellschaften wie dem Alten Ägypten eine zentrale Rolle, bedenkt man, dass zum Beispiel Götter, Verstorbene, ‚Seelen‘ oder Geister als individuelle Entitäten kommunizieren, interagieren sowie Emotionen empfinden, soziale Beziehungen eingehen und sich sorgen können (vgl. Assmann 2010; Hornung 2005). Hier ist die Frage des unmittelbaren Betroffenseins der Leiblichkeit (siehe unten) entscheidend und muss definitorisch mitgedacht werden.

  • Weiterhin ist zu fragen, was das inhaltliche Feld bzw. die Semantik der Sorge ausmacht (Henkel 2016, 44). Die semantische Sphäre der Sorge umfasst im deutschen Sprachraum, wie zuvor beschrieben, sowohl negative Konnotation wie ängstliches Besorgtsein (im Englischen worry, anxiety, fear) als auch positive Bereiche wie umsichtige Vorsorge oder Pflege (im Englischen care, provision, precaution).

Die angeführten Aspekte werden von Lindemann in einem innovativen theoretischen Rahmen verbunden. Basierend auf den Überlegungen von Heidegger (1967 [1927]) in Kombination mit den Theorien von Helmuth Plessner (1975 [1928]) und Hermann Schmitz (2011 [1965]) entwickelt sie ein differenziertes Modell der Sorge. Da Handlungsabsichten nicht nur aus Sorge entstünden, stellt sie der Sorge das Konzept Lust gegenüber, als die beiden grundlegenden aktivierenden Modulationen (Lindemann 2016, 94). Handlungsmotivierend würden diese dann, wenn leibliche Akteurinnen und Akteure von den erwarteten Zukünften, die daraus entstehen, leiblich-affektiv betroffen seien. Wesentliche Bestandteile der Theorie beschäftigen sich mit räumlichen und zeitlichen Komponenten, Sorge definiert Lindemann unter zwei Aspekten hiernach als:

a) „[…] allgemeine Struktur eines motivierenden reflektierten Zukunftsbezugs“ (Lindemann 2016, 87) im ganzheitlichen Sinne Heideggers;

b) „[…] besondere Art des leiblichen Motiviertseins“ (Lindemann 2016, 87) mit Bezug auf die exzentrische Positionalität nach Plessner4.

Diese Definition bedarf der näheren Erklärung.

a) Henkel u. a. postulieren, dass Sorge drei zeitliche Komponenten vereint, darunter zunächst einen Zukunftsbezug, der in der Gegenwart reflektiert wird: „Die Sorge ist gegenwärtig als eine mögliche Zukunft. Sorge wirkt also gegenwärtig durch die Voraussicht, durch die Vergegenwärtigung dessen, was nicht ist, aber doch werden könnte.“ (Henkel u. a. 2016, 21) Die vergegenwärtigte Zukunft ergänzt Lindemann um die Vergangenheit, auf die die Gegen-wart wirksam bezogen sei. Die in der biographischen Lebensgeschichte erworbenen Erfahrungen in der Vergangenheit können je nach den Anforderungen der erwarteten Zukunft abgerufen und erweitert werden. Bei enttäuschten Erwartungen setzt also klassischerweise ein Lernprozess oder auch eine Verweigerung des Lernprozesses, ein Beharren auf dem Erwarteten ein. Die Differenzen zwischen dem Erleben dieser abrufbaren Zeitzustände bezeichnet Lindemann als Modalzeit, die als individuell erlebte Zeit kontrastierend zu tatsächlich messbarer, absoluter Chronologie tritt (Lindemann 2019, 58). Hervorzuheben als Charakteristikum der Sorge ist nach Lindemann bei dieser Unterscheidung von Zeitstufen die Möglichkeit des zukünftigen Scheiterns bzw. Nicht-Eintretens von Erwartungen als integralem Bestandteil des Sorge-Konzepts. Das heißt, Erwartungen beinhalten stets die Möglichkeit, dass sie nicht erfüllt werden (Lindemann 2019, 58–59; 2016, 84).

b) Lindemann orientiert sich in ihrer Theoriebildung an der exzentrischen Positionalität nach Plessner. Demnach erleben sich „leibliche Selbste“ in der Gegenwart in ihrer Umwelt. Für ihre aktuellen Situationen erwarten sie hierfür relevante Zukünfte. Motiviert dazu werden sie unter anderem durch Feldverhalte, also „Strukturbeziehungen zwischen vorhandenen Elementen im Umfeld“ (Plessner 1975 [1928], 272), die zum Handeln auffordern. Die Selbste reagieren dann ihrem aktuellen Zustand entsprechend darauf (Lindemann 2019, 58). Lindemann benennt diesen wirksamen Bezug auf die Zukunft als Kennzeichen der Gegenwart (Lindemann 2019, 58). Diese Voraussetzung ist relevant, da sie eben dann zu Handlungen führe, wenn leibliche Selbste von der Umsetzung der oben beschriebenen Erwartungsstrukturen unmittelbar betroffen seien. Das heißt „[…] wenn es sich um dasjenige handelt, das ihnen nahegeht, worum es ihnen in Sorge oder aus Lust geht“ (Lindemann 2016, 95). Ergänzend betont Lindemann, dass bisherige Theorien zur Erklärung von Handlungsmotivationen und -abläufen die Dimension der Zeitlichkeit zu wenig berücksichtigten, was insbesondere im Hinblick auf Erwartungen, einen eindeutig zeitlich konnotierten Begriff, verwundere. Die zeitliche Komponente werde nur insofern aufgegriffen, als sie implizit in Zwecksetzungen und (persönlicher) Nutzenorientierung auftrete. Der explizite Einbezug der Zeitdimension erlaube hingegen das Aufstellen einer allgemeineren Regel, die einen Rückschluss darauf erlaube, wie Akteurinnen und Akteure sich in konkreten Situationen für bestimmte Handlungsoptionen entscheiden, ohne allein auf persönliche Nutzenmaximierung zu setzen (Lindemann 2016, 73). Dadurch werden zwei deutliche Einschränkungen bisheriger Theorien zu Handlungsmotivationen eliminiert, die die Theorie Lindemanns besonders attraktiv für die Erforschung vormoderner Gesellschaften machen (Lindemann 2016, 73–74):

  • die Vorannahme, dass es sich immer um individuelle Akteure und Akteurinnen handele;
  • die Vorannahme, dass diese Akteurinnen und Akteure je ihren individuellen Nutzen verfolgen.

Nutzenmaximierung stellt in Lindemanns Theorie, unter Bezug auf Heidegger, nur einen Spezialfall handlungsmotivierenden Zukunftsbezugs dar, der neben weiteren möglichen Spielarten existiere. Zudem wird der Gedanke an modernen Individualismus aufgegeben, sodass individualisierende und dividualisierende5 Zukunftsbezüge möglich werden, die für vormoderne Gesellschaften zu prüfen sind.

2.3 Psychologischer Blickwinkel

Im Unterschied zu soziologischen Theorien, die das Individuum in einem Netzwerk sozialer Relationen analysieren, fokussiert die psychologische Herangehensweise die individuelle Personenebene. Für die Analyse von Konzepten der Sorge können unter anderem Emotionsforschung und Resilienzforschung aktuelle Erkenntnisse beitragen.

So setzt sich beispielsweise die Stressforschung mit ‚Erwartungen‘ auseinander. Wie zuvor angedeutet, spielt die Erwartungshaltung in Konzepten der Sorge eine zentrale Rolle: Die Komponente der Erfüllung oder Enttäuschung von Erwartungen ist rekursiv bereits der Erwartung selbst inhärent, ein mögliches Scheitern oder Gelingen also definitorischer Bestandteil. Die moderne Hirnforschung hat diesen Aspekt analysiert und „Unsicherheit angesichts von Erwartungshaltungen“ (Henkel – Peters 2019, 128) als Stressfaktor identifiziert. Das betroffene Individuum ist demnach unsicher, ob eine Handlungsstrategie aus dem eigenen Repertoire an durch Erfahrung gewonnenen Strategien erfolgreich sein wird, was wiederum Handlungsentscheidungen beeinflusst (Henkel – Peters 2019, 128–129). Erwartungen sind dennoch eine sinnvolle Option des Individuums, denn „Erwartungen reduzieren Komplexität unter Bedingungen von Unsicherheit“ (Henkel – Peters 2019, 135). Dies erläutert eine Rahmenbedingung der zuvor vorgestellten soziologischen Annahme, dass Sorge dann handlungsmotivierend ist, wenn leibliche Selbste unmittelbar von der Umsetzung der Erwartungsstrukturen betroffen sind (Lindemann 2016, 94).

Im Folgenden wird erläutert, wie diese Hintergründe für die Analyse altägyptischer Konzepte der Sorge sinnvoll sein können.

3. Lexikalisch-semantische Sphäre der [SORGE] im Ägyptischen

Um die semantische Sphäre [SORGE] im Ägyptischen zu umreißen, ist es unzureichend, die einschlägigen Lexika zu konsultieren. Es muss sichergestellt werden, dass mit den modernen Übertragungen von Lexemen aus dem Bereich der [SORGE] die Dimensionen korrekt erfasst werden, sodass eine lexikalisch-semantische Aufarbeitung der altägyptischen Begriffsdimensionen als eine zukünftige Analyseebene hervortritt (siehe Abschnitt 4). Eine reine Wortfeldanalyse greift dabei jedoch zu kurz, da Konzepte der Sorge sich nicht allein in einzelnen Lexemen fassen lassen und solche Analysen für die Ägyptologie zudem bereits kritisch beleuchtet worden sind (vgl. hierzu Gerhards 2021, 31–36 mit weiterführender Literatur; ergänzend Di Biase-Dyson 2022).

Vorab ist ferner zu berücksichtigen, dass [SORGE] nicht rein als Emotion6 gedeutet werden kann, und sich daher von Begriffsfeldern wie bspw. [ANGST] unterscheidet. Vielmehr handelt es sich um ein komplexes Zusammenspiel von zukunftsgerichteten Erwartungen auf der Basis von Erfahrungen, die in der Vergangenheit erworben wurden. Diese können in der Gegenwart emotionale Reaktionen, Gedanken und auch Handlungen auslösen (vgl. Henkel 2016). Jedoch wird auch bei kursorischer Betrachtung bereits deutlich, dass die altägyptische Sprache unterschiedliche Aspekte von Sorge in sich vereint. Eine Zusammenstellung von altägyptischen „Sorge“-Lexemen hat María Isabel Toro Rueda (2003, 108) vorgenommen. Ihre Interpretationen von mḥi͗ – „bekümmert sein, sich Sorgen machen“ über n nḏ sḫr „sich um etwas sorgend kümmern“ und nwi͗ „für sich selbst sorgen“ bis šnn „Kummer“ deuten auf ein Spektrum aller genannten Dimensionen der Sorge hin.

Die große Reichweite der „Sorge“-Lexeme lässt sich ohne eine größer angelegte lexikalisch-semantische Untersuchung nur rein vorläufig verdeutlichen. Die modernen Übertragungen sollen hier an Beispielen der Wurzel mḥi͗7 in zwei ägyptischen Texten vorgestellt werden. Alle Hervorhebungen im Text sind durch die Verfasserin ergänzt. Im einleitenden Zitat dieses Beitrags aus dem literarischen Text „Gespräch eines Lebensmüden mit seinem Ba“8 aus der 12. Dynastie (ca. 1938–1759 v. Chr.9) wird der am Leben verzweifelte Protagonist des Textes aufgefordert, zukunftsgerichtete (kummervolle, gedankliche) Sorge aufzugeben. In Form des Substantivs bzw. substantivierten Verbs (vgl. Allen 2011, 229) mḥi͗ heißt es:

sḏm r⸗k n⸗j m⸗k nfr sḏm n rmṯ.w
šms hrw nfr smḫ mḥ
„Höre doch auf mich! Siehe, gut ist das Hören für die Menschen.
Folge einem schönen Tag, vergiss dieSorge10!“ (Lebensmüder 67; nach Dils 2014)

Zwei weitere Male tritt mḥi͗ in diesem Text als Verbform auf:

ptr km⸗k
mḥi͗.y⸗k ḥr ꜥnḫ mj nb ꜥḥꜥ.w
„Was ist deine Vollendung? Du solltest dir Sorgen um das Leben machen wie ein Besitzer von Reichtum.“ (Lebensmüder 32–33; nach Dils 2014)
Etwas anders interpretiert Allen (2011, 46): „What is your gain, if you will care about life like an owner of riches […]?“

mḥi͗.y⸗i͗ ḥr msw⸗s sd.w m swḥ.t
mꜣ.w ḥr n ḫnty n ꜥnḫ.t⸗sn
“Ich möchte meinen Kummer ausdrücken um ihre Kinder, zerbrochen im Ei, die das Gesicht des (Krokodilgottes) Chenti gesehen haben, noch bevor sie (überhaupt) gelebt haben.“ (Lebensmüder 78–80; nach Dils 2014)
Die englische Übersetzung derselben Textstelle durch James P. Allen (2011, 74–75) verdeutlicht den Interpretationsspielraum:
„But I care about her children, broken in the egg, who saw the face of Khenti before they lived.“

Auch in der bekannten Erzählung des Sinuhe, die erstmals ebenfalls aus der 12. Dynastie überliefert ist, wird mḥi͗ verwendet, diesmal in einer zukunftsgerichteten, sich kümmernden Ausprägung als imperative Verbform:

mḥi͗ ḥr ẖꜣ.t⸗k i͗wt⸗k
Sorge dich um deinen Leichnam und komme (zurück)!“ (Sinuhe 199; nach Feder 2014)
Richard B. Parkinson (1997, 37) hingegen übersetzt:
Think of your corpse – and return!“

Es wird deutlich, dass zu klären bleibt, ob es sich bei allen Vorkommnissen von mḥ(i͗) um „Sorge“ nach der oben etablierten Definition handelt.

4. Entwurf operationalisierbarer Kriterien der Untersuchung von Sorge in altägyptischen Kontexten

Zu Beginn des Beitrags wurde bereits darauf hingewiesen, dass jede Art funktionaler Kriterien, die einer Analyse vorangestellt werden, den Untersuchungsgegenstand einengen können. Wichtig für die Erforschung vormoderner Gesellschaften ist daher, rezente Konzepte nicht unreflektiert zu übertragen oder nach spezifischen Kriterien zu fahnden, die die moderne Sichtweise bestätigen. Neuere altertumswissenschaftliche Forschung beschäftigt sich explizit mit dem Aufbrechen eindimensionaler Denkmuster in methodisch-theoretisch geleiteter Analyse. So werden beispielsweise Verflechtungen zwischen Menschen und Dingen neu gedacht (z. B. Hodder 2011; 2012; Hofmann u. a. 2016), dichotomische anthropozentrische Relationen aufgebrochen (z. B. Harris 2021) und das Verständnis von „Leben“ im Kontext der Sorge weiterentwickelt (z. B. Schreiber 2022). Insbesondere der New Materialism oder die Cognitive Archaeology eröffnen dabei Möglichkeiten, den Mensch nicht unabhängig von seiner Interaktion mit der (Mit-)Welt zu sehen. Es ist daher von besonderem Interesse, individuelle wie soziale Konzepte auch in vormodernen Gesellschaften sorgfältig zu analysieren.

Auf Basis der anschlussfähigen Definition als reflektiertem Zukunftsbezug, der explizit moderne Rahmenbedingungen wie individualistisches und persönliches nutzenorientiertes Denken und Handeln hinterfragt, lässt sich m. E. die Vorannahme treffen, dass es Sorge-Relationen im Alten Ägypten gegeben hat. Somit kann die Forschungsfrage lauten, welche Dimensionen der Sorge es gab und wie diese ausgestaltet waren. Dank der erhaltenen multi-dimensionalen Quellenlage können diese Relationen mit vielfältigem forscherischem Zugang analysiert werden. Untersuchungen können an folgenden Kriterien ausgerichtet werden:

Sprachliche Belege

Vorzunehmen ist eine Analyse von Begriffssphären, die reflektierte Zukunftsbezüge erkennen lassen. Mögliche Merkmale, die der Identifikation von Sorge-Ausdrücken bzw. Sorge-Relationen dienen, sind:

  • Zielgerichtetheit (das Worum der Sorge)
  • Zeitliche Dimension (Zukunftsbezug; Dauer der Sorge)
  • Identifizierbare Erwartungshaltung (Möglichkeit des Scheiterns, der Nicht-Erfüllung der Sorge)
  • Situationsbezogene Relationen (Kontext der Sorge)
  • Mögliche emotionale Komponenten (Sorge verbunden mit negativer emotionaler Reaktion)
  • Mögliches leiblich-affektives Betroffensein (handlungsmotivierende Aspekte der Sorge)
  • Anpassung von Handlungsstrategien (Lerneffekt oder Verweigern von Anpassung)

Materielle Belege der Funerärkultur

Vorzunehmen ist eine Analyse von Grabausstattung, Grabbeigaben und Grabdekorationen, die reflektierte Zukunftsbezüge erkennen lassen. Das aktive Bereitstellen spezifisch gestalteter Bestattungen zeigt bereits die Umsetzung von Strategien in konkrete Handlung. Mögliche Merkmale, die darauf hindeuten, dass es sich um Sorge als handlungsmotivierenden Faktor gehandelt haben könnte, sind:

  • Zielgerichtetheit (Auf welches Worum der Sorge wird reagiert?)
  • Zeitliche Dimension (Ist ein Zukunftsbezug/eine Dauer[haftigkeit] beinhaltet?)
  • Identifizierbare Erwartungshaltung (Welche Erwartung wird verknüpft?)
  • Situationsbezogene Relationen (Ist ein Bezug zu Praktiken, Ritualen oder weiterführenden Strategien erkennbar?)
  • Mögliche emotionale Komponenten (Sind emotionale Faktoren an Art, Auswahl, Ausführung etc. erkennbar?11)

Letztlich muss eine Kombination der zu untersuchenden Ebenen verifizieren, wie sich Sorge im Kontext der altägyptischen Gesellschaft darstellte.

Beinahe modern mutet vor dem Hintergrund der erläuterten Kriterien der fast viertausend Jahre alte Text an, aus dem das einleitende Zitat dieses Beitrags gewählt wurde. „Vergiss die Sorge!“ sagt der Ba eines Mannes in einer altägyptischen Geschichte wie im Selbstgespräch zu ihm, dem am Leben verzweifelten, in heutigen Worten ‚selbstmordgefährdeten Lebensmüden‘. In einem dialogischen Aufbau diskutieren Mann und Ba über den Tod, der dem Lebensmüden erstrebenswert und paradiesisch erscheint, während der Ba versucht, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. In der dritten Rede des Ba, aus dem das Zitat stammt, wird beschrieben, welche negativen Emotionen eine Beerdigung bei den Hinterbliebenen auslöst, wie bereits vergangene Generationen dem Vergessen anheimfallen, indem ihre Grabbauten zerfallen, und das diesseitige Leben lohnenswert erscheint:

„Wenn du dir eine Beerdigung ins Gedächtnis rufst: Sie bedeutet (nur) Herzenskummer. Sie bedeutet, Tränen herbeizuführen, dadurch, dass man einen Mann/Menschen traurig stimmt. Es bedeutet, einen Mann aus seinem Haus wegzuholen, auf dem (Nekropolen)hügel zurückgelassen. Du wirst niemals mehr an die Oberfläche hinausgehen können, damit du den Sonnengott sehen kannst! Die, die mit Granitblöcken bauten, errichtet zu (?) vollendeten Pyramiden in vollendeter Arbeit, damit die Bauherren zu Göttern wurden: Die zugehörigen Altäre sind (jetzt) im desolaten Zustand wie (die) der (Todes)matten, die mangels eines Hinterbliebenen auf dem Ufer(damm) gestorben sind, nachdem die Wasserflut ihren An-teil genommen hat und das Sonnenlicht ebenso, so daß (nur noch) die Fische der Wasserkanten mit ihnen reden. Höre doch auf mich! Siehe, gut ist das Hören für Menschen. Folge einem schönen Tag, vergiss die Sorge.“ (Lebensmüder 56–68; Übersetzung nach Dils 2014)

Das Beispiel verdeutlicht das große Potential möglicher Untersuchungsgegenstände im Alten Ägypten: In der Analyse von Textmaterial können besonders vielversprechend lexikalisch-semantische Analysen durchgeführt, Kontexte ermittelt und die Bedeutungsreichweite der Sorge ausgelotet werden.

Ohne im Rahmen dieses kurzen Beitrags die Analyse des Textes vor dem Hintergrund der etablierten Kriterien vorzunehmen, sei jedoch schon auf einige Herausforderungen hingewiesen. Während die zeitliche Dimension (zukunftsgerichtete Sorge, die zu gegenwärtigem Stresserleben führt) und emotionale Komponenten (Todessehnsucht des Protagonisten; Herzenskummer, Tränen, Traurigkeit von Hinterbliebenen) im Text recht klar hervorzutreten scheinen, zeigt sich ebenfalls die interpretatorische Vielschichtigkeit von Dimensionen der Sorge im Alten Ägypten. Die Zielgerichtetheit der Sorge ist abhängig von Verständnis und Kontextualisierung des Textes. Begrifflichkeiten für Leben und Tod weisen in den altägyptischen Epochen gänzlich andere Bedeutungsreichweiten als moderne Termini auf (vgl. hierzu im ‚Lebensmüden‘ Lohmann 1998, 209) und die Existenz einer Entität wie dem Ba ist für Personen im Alten Ägypten Realität (vgl. Burkard – Thissen 2003, 154), was bei der Analyse „leiblicher Betroffenheit“ ebenso entsprechend Berücksichtigung finden muss wie eine Einschätzung des religiös-magischen Hintergrunds altägyptischen Jenseitsglaubens. Nicht zuletzt ist zu beachten, dass bereits eine Interpretation in Form der Übersetzungen vorgenommen wurde, wie in Abschnitt 3 angeführt wurde. Eine sorgfältige Analyse muss daher die Reichweite der Konzepte von Sorge für das Alte Ägypten erst aufzeigen.

DANKSAGUNG

Ich danke meinem Mit-Herausgeber Dr. Stefan Schreiber und Univ.-Prof. Dr. Ursula Verhoeven-van Elsbergen herzlich für das Korrekturlesen dieses Beitrags sowie für hilfreiche Anmerkungen.

FUSSNOTEN

  1. https://challenges.uni-mainz.de/konzepte-der-sorge-in-der-altaegyptischen-funeraerkultur/ [25.10.2022].
  2. Siehe zu Konnotationen von care als „positiver normativer Bezugspunkt“ (Folkers 2020, 18) in Bezug auf Sicherheit Folkers 2020 mit weiterführender Literatur.
  3. Siehe zusammenfassend beispielsweise die kritische Einführung von Trawny (2016) und die Beiträge im Sammelband von Gander – Striet (2017).
  4. Die exzentrische Positionalität bezeichnet eine spezielle Form von Leib-Umweltbeziehung, eine Kategorie. Nach Plessners anthropologischer Philosophie unterscheiden sich Körper (Dinge und Lebewesen) im Verhältnis zu ihren physischen Grenzen. Unbelebte Körper reichen genau bis zu ihrer physischen Grenze. Belebte Körper unterscheiden sich in offene (Pflanzen) und geschlossene Formen (Tiere), die wachsen und sich bewegen können und daher in Beziehung zu ihrer Umwelt treten. Beide haben eine zentrische Positionalität, weil z. B. Tiere zwar zwischen sich und ihrer Umwelt unterscheiden können, ihnen aber die Fähigkeit fehlt, zwischen sich und sich selbst zu trennen. Sie sind in ihrer Positionalität, laut Plessner, eins mit ihrem Zentrum, sie können sich nicht selbst beim Erleben erleben. Diese Fähigkeit haben wiederum nur Menschen, sie können über sich selbst reflektieren und sind somit gleichsam in ihrer Mitte und nicht in ihrer Mitte, also exzentrisch positioniert. (Plessner 1975 [1928]; vgl. auch Fischer 2000; Jestel o. J.; Lindemann 2016 und 2019).
  5. In der Individualisierung erleben sich Beteiligte als getrennte Individuen, die in Beziehungen eintreten können, während sich in der Dividualisierung Beteiligte als Elemente von Beziehungen erleben (Lindemann 2017).
  6. Ein anschlussfähiges Modell zur klaren Trennung der Begrifflichkeiten Affekt, Gefühl, Emotion, Stimmung und Meinung stellen Munezero et al. 2014 vor.
  7. TLA Lemma ID 871577 (https://thesaurus-linguae-aegyptiae.de/lemma/871577 [02.02. 2023]).
  8. Zu Übersetzungen und dem komplexen Hintergrund des Werks siehe Burkard – Thissen 2003, 148–156; Dils 2022; Barbotin (2012 mit weiterführender Literatur) hat als Beginn des Werkes die „Klagen des Chacheperreseneb“ vermutet. Escolano-Poveda (2017) identifizierte kürzlich Fragmente des Anfangs des Lebensmüden in den Papyri Mallorca I und II. Zum weiteren Kontext des verwendeten ägyptischen Zitats siehe Abschnitt 4.
  9. Absolute Datierung der Dynastie nach Schneider 1994, 316–317.
  10. Englischsprachige Übersetzungen verwenden hier „care“, siehe Allen 2011, 147; Parkinson 1997, 157.
  11. Wegweisende Forschung für die Erforschung sozialer Relationen und emotionaler Aspekte der materiellen Kultur leisteten bspw. bereits Meskell 1998; Tarlow 1999; 2000; Forschungen zum sprachlichen Ausdruck von Emotionen sind in den letzten zwei Jahr-zehnten vielfältig entstanden, man vergleiche die Beiträge in Hsu – Radua 2020 sowie Einzelbetrachtungen zum Beispiel von Eicke 2015; 2017; 2021; Verbovsek 2009 oder McDonald 2020 (mit weiterführender Literatur).

 

LITERATUR

Allen 2011
James P. Allen, The Debate between a Man and His Soul. A Masterpiece of Ancient Egyptian Literature, Culture and History of the Ancient Near East 44 (Leiden 2011)

Assmann 2003
Jan Assmann, Stein und Zeit. Mensch und Gesellschaft im Alten Ägypten 3(München 2003)

Assmann 2010
Jan Assmann, Tod und Jenseits im Alten Ägypten 2(München 2010)

Barbotin 2012
Christophe Barbotin, Le dialogue de Khâkheperrêseneb avec son ba. Tablette British Museum EA 5645/ostracon Caire JE 50249 + papyri Amherst III & Berlin 3024, Revue d‘Égyptologie 63, 2012, 1–20

Burkard – Thissen 2003
Günter Burkard – Heinz J. Thissen, Einführung in die altägyptische Literaturgeschichte I. Altes und Mittleres Reich, Einführungen und Quellentexte zur Ägyptologie (Münster 2003)

Di Biase-Dyson 2022
Camilla Di Biase-Dyson, Rezension zu: Simone Gerhards, Konzepte von Müdigkeit und Schlaf im alten Ägypten, Studien zur Ältägyptischen Kultur Beiheft 23, 2021, Lingua Aegyptia 30, 2022, 299–306

Dils 2014
Peter Dils, pAmherst 3 + pBerlin P 3024, Der Lebensmüde, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Leipzig 2014), <https://aaew.bbaw.de/tla/servlet/GetTextDetails?u=guest&f=0&l=0&tc=872&db=0> (01.11.2022)

Dils 2022
Peter Dils, unter Mitarbeit von Altägyptisches Wörterbuch, „Der Lebensmüde“ (Objekt-ID S6UTHJ6U3BHVNKYPVKWR2J4BNM), in: Thesaurus Linguae Aegyptiae, Korpus-Ausgabe 17, Web-App-Version 2.01, 15.12.2022, hrsg. von Tonio Sebastian Richter & Daniel A. Werning im Auftrag der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und Hans-Werner Fischer-Elfert & Peter Dils im Auftrag der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, <https://thesaurus-linguae-aegyptiae.de/object/S6UTHJ6U3BHVNKYPVKWR2J4BNM> (01.02.2023)

Eicke 2015
Sven Eicke, Ende mit Schrecken oder Schrecken ohne Ende? Zur Verwendung sprachlicher Ausdrücke für Furcht im Totenbuch, in: Gregor Neunert – Henrike Simon – Alexandra Verbovsek –Kathrin Gabler (Hrsg.), Text. Wissen – Wirkung – Wahrnehmung. Beiträge des vierten Münchner Arbeitskreises Junge Aegyptologie (MAJA 4), 29.11. bis 1.12.2013, Göttinger Orientforschungen IV. Reihe: Ägypten 59 (Wiesbaden 2015) 151–166

Eicke 2017
Sven Eicke, Affecting the Gods – Fear in Ancient Egyptian Religious Texts, in: Anne Storch (Hrsg.), Consensus and Dissent. Negotiating Emotions in the Public Space, Culture and Language Use 19 (Amsterdam 2017) 229–246

Eicke 2021
Sven Eicke, History of Horror. A Diachronic Overview of Fear(s) in Ancient Egypt, in: Shih-Wei Hsu – Jaume Llop Raduà (Hrsg.), The Expression of Emotions in Ancient Egypt and Mesopotamia, Culture and History of the Ancient Near East 116 (Leiden 2021) 25–51

Escolano-Poveda 2017
Marina Escolano-Poveda, New Fragments of Papyrus Berlin 3024. The Missing Beginning of the Debate between a Man and his Ba and the Continuation of the Tale of the Herdsman (P. Mallorca I and II), Zeitschrift für Ägyptische Sprache und Altertumskunde 144,1, 2017, 16–54

Feder 2014
Frank Feder, pBerlin P 3022 und Fragmente pAmherst m-q (B), Sinuhe, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Leipzig 2014), <https://aaew.bbaw.de/tla/servlet/GetCtxt?u=guest&f=0&l=0&tc=842&db=0&ws=2582&mv=4> (01.11.2022)

Fischer 2000
Joachim Fischer, Exzentrische Positionalität. Plessners Grundkategorie der Philosophischen Anthropologie, Deutsche Zeitschrift für Philosophie 48, 2000, 265–288

Folkers 2020
Andreas Folkers, Eine Genealogie sorgender Sicherheit. Sorgeregime von der Antike bis zum Anthropozän, BEHEMOTH. A Journal on Civilisation 13,2, 2020, 16–39

Gander – Striet 2017
Hans-Helmuth Gander – Magnus Striet, Heideggers Weg in die Moderne. Eine Verortung der „Schwarzen Hefte“ (Frankfurt a. M. 2017)

Gerhards 2021
Simone Gerhards, Konzepte von Müdigkeit und Schlaf im alten Ägypten, Studien zur Altägyptischen Kultur Beiheft 23 (Hamburg 2021)

Harris 2021
Oliver J. T. Harris, Assembling Past Worlds. Materials, Bodies and Architecture in Neolithic Britain (London 2021)

Hegenbarth-Reichardt 2006
Ina Hegenbarth-Reichardt, Der Raum der Zeit. Eine Untersuchung zu den altägyptischen Vorstellungen und Konzeptionen von Zeit und Raum anhand des Unterweltbuches Amduat, Ägypten und Altes Testament 64 (Wiesbaden 2006)

Hegenbarth-Reichardt 2009
Ina Hegenbarth-Reichardt, Von Zeiten und Räumen, oder: Wie unendlich ist die altägyptische Ewigkeit?, in: Reinhard G. Kratz – Hermann Spieckermann (Hrsg.), Zeit und Ewigkeit als Raum göttlichen Handelns. Religionsgeschichtliche, theologische und philosophische Perspektiven, Beihefte zur Zeitschrift für alttestamentliche Wissenschaft 390 (Berlin 2009) 3–28

Heidegger 1967 [1927] Martin Heidegger, Sein und Zeit 11(Tübingen 1967 [1927])

Heidegger 2001
Martin Heidegger, Being and Time. Translated by John Macquarrie and Edward Robinson 20(Oxford 2001; Übersetzung der 7. deutschsprachigen Auflage von “Sein und Zeit”)

Henkel 2016
Anna Henkel, Zukunftsbewältigung. Dimensionen der Sorge als Analyseperspektive moderner Gesellschaft, in: Anna Henkel – Isolde Karle – Gesa Lindemann – Micha H. Werner (Hrsg.), Dimensionen der Sorge. Soziologische, philosophische und theologische Perspektiven, Dimensionen der Sorge 1 (Baden-Baden 2016) 21–34

Henkel u. a. 2016
Anna Henkel – Isolde Karle – Gesa Lindemann – Micha H. Werner, Drei Dimensionen der Sorge, in: Anna Henkel – Isolde Karle – Gesa Lindemann – Micha H. Werner (Hrsg.), Dimensionen der Sorge. Soziologische, philosophische und theologische Perspektiven, Dimensionen der Sorge 1 (Baden-Baden 2016) 21–34

Henkel u. a. 2019
Anna Henkel – Isolde Karle – Gesa Lindemann – Micha Werner, Einleitung, in: Anna Henkel – Isolde Karle – Gesa Lindemann – Micha Werner (Hrsg.), Sorget nicht – Kritik der Sorge, Dimensionen der Sorge 2 (Baden-Baden 2019) 7–15

Henkel – Peters 2019
Anna Henkel – Achim Peters, Stress-Steigerungen. Erwartungsenttäuschungen zwischen sozialer Struktur und subjektiver Erwartung, in: Anna Henkel – Isolde Karle – Gesa Lindemann – Micha Werner (Hrsg.), Sorget nicht – Kritik der Sorge, Dimensionen der Sorge 2 (Baden-Baden 2019) 117–153

Hodder 2011
Ian Hodder, Wheels of Time. Some Aspects of Entanglement Theory and the Secondary Products Revolution, Journal of World Prehistory 24,2–3, 2011, 175–187

Hodder 2012
Ian Hodder, Entangled. An Archaeology of the Relationships between Humans and Things (Malden, MA 2012)

Hofmann u. a. 2016
Kerstin P. Hofmann – Thomas Meier – Doreen Mölders – Stefan Schreiber (Hrsg.), Massendinghaltung in der Archäologie. Der material turn und die Ur- und Frühgeschichte (Leiden 2016)

Hornung 2005
Erik Hornung, Der Eine und die Vielen. Ägyptische Götterwelt 6(Darmstadt 2005)

Hsu 2021
Shih-Wei Hsu, ‘I wish I could die’. Depression in Ancient Egypt, in: Shih-Wei Hsu – Jaume Llop Raduà (Hrsg.), The Expression of Emotions in Ancient Egypt and Mesopotamia, Culture and History of the Ancient Near East 116 (Leiden 2021) 52–87

Jestel o. J.
Dana Jestel, Rekonstruktion des Begriffs exzentrische Positionalität des Menschen (FU Berlin ohne Jahr) <http://userpage.fu-berlin.de/miles/jestel.htm> (01.11.2022)

Karle 2019
Isolde Karle, „Sorget nicht“ in der Sorgegesellschaft, in: Anna Henkel – Isolde Karle – Gesa Lindemann – Micha Werner (Hrsg.), Sorget nicht – Kritik der Sorge, Dimensionen der Sorge 2 (Baden-Baden 2019) 19–30

Lindemann 2016
Gesa Lindemann, In Sorge und aus Lust, in: Anna Henkel – Isolde Karle – Gesa Lindemann – Micha H. Werner (Hrsg.), Dimensionen der Sorge. Soziologische, philosophische und theologische Perspektiven, Dimensionen der Sorge 1 (Baden-Baden 2016) 73–97

Lindemann 2017
Gesa Lindemann, Was kann die Soziologie von der Ethnologie lernen, in: Blog Kulturrelativismus und Aufklärung (Köln 2017) <https://blog.uni-koeln.de/gssc-kulturrelativismus/2017/03/21/was-kann-die-soziologie-von-der-ethnologie-lernen/> (01.11.2022)

Lindemann 2019
Gesa Lindemann, Zeit der Nichtsorge, in: Anna Henkel – Isolde Karle – Gesa Lindemann – Micha Werner(Hrsg.), Sorget nicht – Kritik der Sorge, Dimensionen der Sorge 2 (Baden-Baden 2019) 57–73

Lohmann 1998
Katherine Lohmann, Das Gespräch eines Mannes mit seinem Ba, Studien zur Altägyptischen Kultur 25, 1998, 207–236

McDonald 2020
Angela McDonald, Emotions, in: Anne Austin – Willeke Wendrich (Hrsg.), UCLA Encyclopedia of Egyptology (Los Angeles 2020), <http://digital2.library.ucla.edu/viewItem.do?ark=21198/zz002kj9sj> (01.11.2022)

Meskell 1998
Lynn Meskell, An Archaeology of Social Relations in an Egyptian Village, Journal of Archaeological Method and Theory 5,3, 1998, 209–243

Munezero u. a. 2014
Myriam Munezero – Calkin Suero Montero – Erkki Sutinen – John Pajunen, Are They Different? Affect, Feeling, Emotion, Sentiment, and Opinion Detection in Text, IEEE Transactions on Affective Computing 5,2, 2014, 101–111

Narvaez 2019
Darcia Narvaez, In Search of Baselines. Why Psychology Needs Cognitive Archaeology, in: Tracy B. Henley – Matt J. Rossano – Edward P. Kardas (Hrsg.), Handbook of Cognitive Archaeology (New York 2019), 104–119

Plessner 1975 [1928] Helmuth Plessner, Die Stufen des Organischen und der Mensch. Einleitung in die philosophische Anthropologie 3(Berlin 1975 [1928])

Pommerening 2009
Tanja Pommerening, Krankheit und Heilung (Ägypten), WiBiLex. Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet, 2009, <https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/24048/> (01.11.2022)

Sasse 2019
Ulrike Sasse, Sorge(n) um die Zukunft. Eine soziologische Betrachtung der Zukunftsbewältigung von Risiken und Neogefahren in der Spätmoderne, in: Anna Henkel – Isolde Karle – Gesa Lindemann – Micha Werner (Hrsg.), Sorget nicht – Kritik der Sorge, Dimensionen der Sorge 2 (Baden-Baden 2019) 49–55

Schmitz 2011 [1965] Hermann Schmitz, Der Leib (Berlin 2011 [1965])

Schreiber 2022
Stefan Schreiber, ‚Sorge um das Leben‘ oder ‚Sorge als Leben‘? Neovitalistische Denkfiguren als Alternativen zu einer funktionalistischen Beziehung, in: Stefan Schreiber – Monika Zöller-Engelhardt (Hrsg.), Sorge(n) des Lebens: Herausforderungen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aus Sicht der Ancient Studies (Mainz 2022) 18–26, DOI: 10.25358/openscience8008

Tarlow 1999
Sarah Tarlow, Bereavement and Commemoration. An Archaeology of Mortality (Oxford 1999)

Tarlow 2000
Sarah Tarlow, Emotion in Archaeology, Current Anthropology 41,5, 2000, 713–746

Toro Rueda 2003
María Isabel Toro Rueda, Das Herz in der ägyptischen Literatur des zweiten Jahrtausends v. Chr. Untersuchungen zu Idiomatik und Metaphorik von Ausdrücken mit jb und ḥꜣtj (Dissertation Göttingen 2003)

Trawny 2016
Peter Trawny, Martin Heidegger. Eine kritische Einführung (Frankfurt a. M. 2016)

Verbovsek 2009
Alexandra Verbovsek, „Er soll sich nicht fürchten…!“ Zur Bedeutung und Funktion von Angst in der Erzählung des Sinuhe, in: Dieter Kessler – Regine Schulz – Martina Ullmann – Alexandra Verbovsek – Stefan Wimmer (Hrsg.), Texte – Theben – Tonfragmente. Festschrift für Günter Burkard, Ägypten und Altes Testament 76 (Wiesbaden 2009) 421–433

ZITIERVORSCHLAG

Monika Zöller-Engelhardt, Vergiss die Sorge! Überlegungen zur Analyse von Konzepten der Sorge in der altägyptischen Funerärkultur, in Stefan Schreiber – Monika Zöller-Engelhardt (Hrsg.), Sorge(n) des Lebens: Herausforderungen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aus Sicht der Ancient Studies (Mainz 2023) 27–45. DOI: 10.25358/openscience-8810.

 

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