Wie Fundplätze zu Sorgenkindern wurden. Zur Emotionalisierung der Denkmalpflege in Deutschland im 20. Jahrhundert

Susanne Grunwald

Stefan Schreiber quittierte meinen Vorschlag für diesen wissenschaftsgeschichtlichen Beitrag zum Sorge-Workshop zuerst, aber nur kurz, mit Skepsis. Tatsächlich weist das Thema weit weg von zwischenmenschlichen Vor-, Für- und Nachsorgemaßnahmen in vormodernen Gesellschaften. Aus meiner Sicht jedoch verbindet diese Sorge-Perspektive ganz hervorragend Mensch und Materialität, Gegenwart und Vergangenheit, Tatsache und Konzeptualisierung, denn sie erlaubt mit zeitlichem und auch sozialem Abstand zu diskutieren, wie und zu welchem Zweck eine Situation überhaupt zu einer sorgenvollen Aufgabe erklärt und dann durch verschiedene Strategien gesellschaftlich oder politisch als Wert platziert und verankert wird. Für die archäologische Denkmalpflege in Deutschland mache ich als solche Strategien die Versachlichung und die Emotionalisierung hin zu einem wirkungsvollen Denkmalschutz aus. Diese Strategien skizzenhaft zu rekonstruieren und zu diskutieren verspricht zweierlei: erstens wird die Raum- und Zeitgebundenheit solcher Konzeptualisierung von Sorgeaufgaben und deren Versachlichung oder Emotionalisierung deutlich, womit zweitens Vergleichsmöglichkeiten mit anderen nationalen Denkmalpflegediskursen oder ganz anderen Sorgebeziehungen eröffnet werden.

Während zwischenmenschliche Sorge- und Pflegebeziehungen stets hochemotional und mit großer gesellschaftlicher Beteiligung thematisiert und normiert werden, handelt es sich bei der Mensch-Denkmal-Beziehung, wie sie in Mitteleuropa seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert geführt wird, um eine nicht-alltägliche Beziehung, die weitgehend emotionslos begann. Obwohl Deutschland als eine alt geprägte Kulturlandschaft zu gelten hat, in der Vergangenes stets in Gestalt von Ruinen, banalen oder wertvollen Einzelfunden sowie Spuren von Siedlungen und Grablegen anzutreffen ist, haben bis ins frühe 20. Jahrhundert nur wenige Menschen über diese Beziehung nachgedacht. Aber es waren ausreichend viele, um aus Entdeckungen schließlich Denkmaldefinitionen und bindende Denkmalschutzgesetze entstehen zu lassen. Die Denkmalsorgegeschichte mit Entdeckungen beginnen zu lassen hat also eine gewisse Berechtigung. Für das ausgehende 18. und das frühe 19. Jahrhundert lässt sich in vielen deutschen Landschaften das aktive Suchen nach Zeugnissen alter Besiedlung, früher Raumordnung und Schätzen nachweisen. Der mediterrane Raum mit seinen durchweg hochästhetischen Ruinen und Kunstwerken hatte seit der Frühen Neuzeit unerreichbare Maßstäbe gesetzt und Begehrlichkeiten geweckt, die durch Publikationen und Reiseberichte gen Norden vermittelt wurden. Dadurch wurden Beobachtungen in den Regionen nördlich der Alpen stimuliert und am Beginn des 19. Jahrhunderts spazierten in vielen der damaligen deutschen Staaten historisch Neugierige gemeinsam mit prospektierenden Geologen oder Sagen sammeln-den Dichtern durch die Landschaften. Sie bargen Funde und trugen sie in Vereinssammlungen oder dem eigenen Studierzimmer zusammen; fund-reiche Orte wurden gedeutet als vorchristliche Opferplätze oder Friedhöfe und gerieten so zu Anziehungspunkten anderer Sammler. Gehütet, umsorgt, wurden während dieser Epoche vor allem die Funde als Sammlungselemente und „Merkwürdigkeiten“, kaum ihre Fundorte, wie die frühesten Schutzbestimmungen zeigen.

Die Aktionsradien der frühen Altertumsforscher entwickelten sich zu Arbeitsgebieten von Einzelnen oder ersten Vereinen, zu archäologischen Revieren innerhalb administrativer Räume wie dem Regierungsbezirk oder dem Fürstentum. Konkret im Raum entschied der Landbesitzer oder Landesherr darüber, ob auf seinem Grund und Boden gesammelt oder ausgegraben werden durfte, nicht der Pächter vor Ort. Deshalb war archäologische Forschung von Beginn an vom grund- oder landesherrlichen Wohlwollen abhängig und so wurden Austauschbeziehungen zwischen Forschenden und Herrschenden und Verwaltenden besonders gepflegt. Ihnen gegenüber wurde im Verlauf des 19. Jahrhunderts immer öfter das Bedauern darüber geäußert, dass unachtsame Landwirte oder Bauherren Fundplätze zerstörten oder plünderten, ohne die Funde bekanntzumachen. Einzelne Landesherren erließen mahnende Bekanntmachungen und Aufforderungen, archäologische Funde zu melden, aber die fehlende Gesetzeskraft solcher Verlautbarungen überließ Erhalt oder Vernichtung von Fundplätzen dem Willen und den Interessen des Finders. Auch die Wirkung einzelner erster Informationskampagnen an die arbeitende Bevölkerung blieb begrenzt.

Während die neugierige Erschließung durch Altertumsinteressierte voranschritt, tat dies in vielen Regionen auch die Mechanisierung der Landwirtschaft und die Industrialisierung. Der Wege- und Straßenbau erschloss neue Zugänge, der Neubau von Manufakturen und Fabriken vergrößerte moderne Siedlungsflächen und zur Gewinnung von Baumaterialien und Energieträgern wie Kalk und Kohle wurden bestehende Dörfer zerstört und riesige Flächen geöffnet, wobei immer öfter archäologische Fundplätze erfasst und zerstört wurden. Da auch der Forschungsstand zum einheimischen Altertum gewachsen war, wurden der Verlust von Fundplätzen und Funden nun zu einem Verlust von potentiellen Forschungsdaten und Aussagemöglichkeiten, also zu einer Verunmöglichung von Forschung. In diesem Sinne wurde am Ende des 19. Jahrhunderts gegenüber Landesherren und Grundbesitzern argumentiert, aber Ertragsverluste, die durch archäologische Schutzmaßnahmen zu erwarten waren, wogen meist schwerer.

In keinem der deutschen Staaten kam bis 1902 ein wirkungsvolles Denkmalschutzgesetz zustande, das dem damaligen Forschungsstand entsprochen hätte. Die Bemühungen um solche Erlasse gingen von Altertumsvereinen und archäologischen Sammlungen an Landesmuseen aus und waren an die lokalen und regionalen Herrschenden gerichtet. Sie wurden deshalb mit genealogischen Konstrukten an das Herrscherhaus, an eine Dynastie gebunden. In Gestalt von Denkschriften wurde meist sachlich und nüchtern der Forschungsstand dargestellt und der wissenschaftliche Wert der zu schützenden Strukturen beschrieben. Die Tradition solcher Denkschriften als verwaltungstechnische Informationsform verbat Emotionalisierungen und gebot stattdessen die effiziente Forderung und die demütige Empfehlung von Maßnahmen. In öffentlichen Vorträgen oder Artikeln in Tageszeitungen wurde dagegen seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert immer öfter der Bezug konstruiert zwischen den Zuhörerinnen oder Lesern und den Menschen der vorgestellten archäologischen Kulturen. Ein solches kollektives genealogisches Konstrukt widersprach zwar bereits vor 1900 teilweise dem Forschungsstand der regionalen Altertumskunde oder der historischen Landeskunde, aber die Hoffnung, durch derartige Beiträge die Öffentlichkeit für die Belange der archäologischen Denkmalpflege zu interessieren und womöglich zu begeistern, legitimierte Überdehnungen des Forschungsstandes, die nicht zufällig immer öfter Ähnlichkeiten zu den Strategien politischer Agitation aufweisen sollten.

Vor dem Ersten Weltkrieg war die Altertumsforschung zu einem veritablen Forschungsfeld mit einem ersten außerordentlichen Lehrstuhl (Berlin), mehreren renommierten Sammlungen und einem Netzwerk engagierter Forscherinnen und Forscher geworden, die in engem Austausch mit ganz Europa standen. In einigen deutschen Staaten, so z. B. in Baden, wurden am Ende des 19. Jahrhunderts für die einzelnen Amtsbezirke sog. (Bezirks-)Pfleger der Kunst- und Altertumsdenkmäler berufen. In der Preußischen Provinz Hannover hießen die 1899 berufenen Ehrenämtler „Vertrauensmänner“. Sie waren wesentlich mit der Beobachtung der Denkmalsubstanz, der Aufklärung der Bevölkerung über deren Wert und der Meldung von Veränderungen beauftragt. Die Bezeichnungen „Pfleger“ und „Vertrauensmann“ entsprechen langer europäischer Verwaltungstradition in Handel und Politik und können daher nicht als Ausdruck von Emotionalisierung gewertet werden. Berufung und Einsatz der Pfleger waren oft umstritten und konfliktbeladen; vor allem dort, wo sich die institutionell besser ausgestattete, ältere Baudenkmalpflege gegen die Zusammenarbeit mit Laien und Vertretern eines noch nicht institutionalisierten Faches wie der Prähistorischen Archäologie wehrten.

Währenddessen hatte im Deutschen Kaiserreich die Industrialisierung eine solche Wucht erreicht, dass diejenigen Fachvertreter, die an Gesetzes-vorlagen arbeiteten und im Austausch mit Regierungsvertretern standen, mit wachsender Dringlichkeit den Erlass solcher Regelungen anmahnten. Auch diese Verhandlungen folgten vor allem dem traditionellen verwaltungs-politischen Protokoll und wurden weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt, so dass der Erlass der ersten deutschen Denkmalschutzgesetze in Hessen (1902) und im Großherzogtum Oldenburg (1911) am Vorabend des Ersten Weltkrieges im Reichstag auch weitgehend unbemerkt erfolgte. Gleiches gilt für das 1914 erlassene erste preußische Denkmalschutzgesetz, dass vorrangig die Genehmigungspflicht für Ausgrabungen und die Ansprüche auf archäologische Funde regelte und noch ohne Formen der Unterschutzstellung von Fundplätzen auskam. So blieben weiterhin zwei Drittel des Deutschen Reiches, so groß war das Königreich Preußen, ohne ein wirkungsvolles Schutzgesetz; die Kritik an diesen Zuständen wurde weitgehend fachintern geäußert.

Nach dem Ende des Krieges wurden die entsprechenden Durchführungsbestimmungen für dieses preußische „Ausgrabungsgesetz“ erlassen (1920) und darin war festgelegt, dass fortan in jeder preußischen Provinz ein sog. „Staatlicher Vertrauensmann für kulturgeschichtliche Bodenaltertümer“ über die Einhaltung dieser Regelungen wachen sollte. Dieses Amt wurde mehrheitlich an bereits verbeamtete Museums- oder Abteilungsleiter vergeben, so dass nunmehr systematisch „der Staat“ archäologische Denkmäler schützte und pflegte. Aber inzwischen hatte sich der gesellschaftliche Rahmen für diese Denkmalschutzbemühungen wie für die archäologische Forschung komplett verändert zusammen mit der politischen Ordnung Deutschlands, seinem Territorium oder der Kraft seiner Währung sowie dem internationalen Rang seiner Wissenschaften. Erst unter diesen Bedingungen erfolgte eine erste Emotionalisierung des Denkmalschutzgedankens gegenüber der Öffentlichkeit.

Natürlich hatten archäologische Forschung und Denkmalschutzregelungen in den deutschen Gemeinden und Städten der Nachkriegsgesellschaft einen denkbar geringen Stellenwert. Die Trauer um gefallene Angehörige, um die Grenzverschiebungen im Westen und Osten zugunsten Frankreichs und Polens oder um die abgetretenen Monarchen wogen schwerer, ebenso das politische Kräftemessen in der nunmehrigen Weimarer Republik oder das Navigieren in der Inflation. In dieser komplexen Umbruchssituation erwies sich die Idee des Volkes als scheinbar einzige historische Konstante und deshalb als besonders integrativ für viele verschiedene Akteure; sie bot sich als Argumentationsbasis z. B. sowohl für die neue Republik als auch für den deutschen Revanchismus an, was inzwischen umfangreich erklärt wurde. Auch für die Archäologie und ihre Denkmalpflegedebatte ist die Teilhabe an der seit der Jahrhundertwende gewachsenen sog. Völkischen Bewegung als dem Rahmen dieser Idee bereits vereinzelt regional beschrieben worden; ebenso die Anleihen einzelner Archäologen und Archäologinnen an den grundlegenden völkischen Argumentationen zu Raum und Gemeinschaft, Kultur und Eigenart, Sprache und Religiosität. Sie boten den Rahmen für die erste öffentliche Emotionalisierungskonjunktur der archäologischen Denkmalpflege nach dem Ersten Weltkrieg.

Die „Volks“-Idee wirkte als die Alternative zum Herrscherhaus, das nicht nur das Land regiert hatte, sondern auch für den Schutz der Denkmäler auf diesem Gebiet mal mehr, mal weniger verantwortlich gewesen war. Die „Volks“-Idee schloss schlagartig sehr viel mehr Menschen in den Schutzauftrag ein als bislang, denn allein die vermeintlich gesicherte Volkszugehörigkeit begründete nun schon ein genealogisches Verhältnis zwischen den gegenwärtigen und den vor- oder frühgeschichtlichen Bewohnern eines Landstriches – was jeden ohne eigenes Zutun zum Erben und zum Denkmalschützer beförderte. Wo eine solche Zuweisung aufgrund multiethnischer Bevölkerung wie in der deutsch-sorbischen Lausitz oder dem deutsch-dänischen Siedlungsgebiet nicht einfach vermittelt werden konnte, wo Gebietsreformen Länder neu formatierten oder die Binnenmigration die Bevölkerungszusammensetzung veränderte, wurde besonders häufig und intensiv auf die „Heimat“-Idee zurückgegriffen. Diese war im Zuge der moderne- und industrialisierungskritischen Heimatschutzbewegung seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert entwickelt worden. Beide Konzepte „Volk“ und „Heimat“ wiesen zusätzlich eine gewisse eigentumsrechtliche Dimension auf, welche den Schutzauftrag der oder des Einzelnen gegenüber Vaterland und Heimat mit Ansprüchen auf deren Denkmäler und Verfügungsrechte über deren Vergangenheit verbanden. Diese Idee von „Volkseigentum“ fand bekanntermaßen in verschiedenen politischen Bewegungen und Systemen des 20. Jahrhunderts konkrete Umsetzungen, was – neben vielem anderen! – auch Konsequenzen hatte für die Verantwortlichkeiten gegenüber archäologischen Denkmälern.

Mit der „Volks“-Idee wurde nun Denkmalschutz für eine große anonyme Zielgruppe, für „die Bevölkerung“, adressierbar, sprach aber immer den einzelnen Menschen an: Denkmalschutz wurde persönlich. Dafür bot sich eine Mischung aus wissenschaftlicher Erklärung der Denkmalwürdigkeit eines Fundes oder Fundortes und emotionaler Begründung des Schutzauftrages und der erhöhten Dringlichkeit an. Der außerordentlich rührige, völkisch-national orientierte Lehrer und Archäologe Walter Frenzel lieferte ein für diese neue Strategie besonders aussagekräftiges Beispiel. 1925 überschrieb er mehrere Vorträge und Zeitungsartikel über den Verlust archäologischer Denkmäler in der sächsischen Oberlausitz durch Straßenbau und Braunkohleabbau mit den Worten „Volksgut in Not!“. Frenzels Beschreibungen waren zeit- und raumspezifisch ausgerichtet und sind auch nur so erklärbar: Ober- und Niederlausitz, heute weitgehend auf den Gebieten der Bundesländer Brandenburg und Sachsen, erlebten nach dem Ende des Ersten Weltkrieg einen umfangreichen Ausbau der Infrastruktur für die Intensivierung des Braunkohleabbaus im Tagebau, nachdem durch Gebietsabtretungen an die Republik Polen Teile der traditionellen ostdeutschen Kohlereviere nicht mehr zugänglich waren. Da es sich aber bei den Lausitzen auch um seit der Bronzezeit intensiv genutzte Kulturlandschaften mit einer hohen Dichte an befestigten Siedlungen und großen Gräberfeldern handelt, war damit auch einer der ältesten deutschsprachigen archäologischen Forschungsräume von Quellenverlust bedroht. Da aber weder Brandenburg noch Sachsen nach dem Weltkrieg über wirkungsvolle archäologische Denkmalschutzgesetze verfügten, gab es weder eine gesetzliche Handhabe gegen Straßenbau oder Tagebauausbau noch genügend amtliche Mitarbeiter für die Begehung von potentiellen Fundplätzen oder die Baubegleitung. Es existierte stattdessen ein sehr kleines Netzwerk hoch-ambitionierter ehrenamtlicher Denkmalpfleger, die in ihrem Wohnumfeld Aufklärung über den Wert archäologischer Forschung und Denkmalpflege betrieben und Funde meldeten, aber sie waren weder mit amtlicher Autorität ausgestattet noch konnten sie alle laufenden Bauprojekte kennen oder gar betreuen. Da durch den Gesetzesmangel aber vor allem ein Format für Kompensationsleistungen bei Stilllegung von Ackerflächen oder Tagebauen und ein Format für Sanktionen fehlten, konnte man Bauherren oder Tagebaubetreiber weder finanziell noch mit Strafandrohungen zu Denkmalschutzmaßnahmen motivieren. Ohnehin hatten die übergeordneten Wirtschaftsinteressen, vor allem zur Frage der Energieversorgung, Priorität auf Landes- wie Reichsebene. Also musste die Öffentlichkeit, zu der natürlich auch die Tagebaubetreiber und Bauherren zählten, informiert und mobilisiert werden.

Die Dramatik von Frenzels Wortwahl hatte mich annehmen lassen, ich würde damit den archäologischen Zweig der public relations, des modernen Marketings für Produkte, Ideen oder politische Positionen erfassen. Was aber in den USA seit der Wende zum 20. Jahrhundert als Bündel von Strategien zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung und des Kauf- und Wahlverhaltens immer intensiver genutzt wurde und auch in Europa bald Anwendung fand, bedurfte stets großer Macht und großer Finanzmittel. Genau daran mangelte es den mehrheitlich noch ehrenamtlich betriebenen, personell und finanziell denkbar gering ausgestatteten Denkmalpflegeabteilungen oder archäologische Sammlungen der deutschen Länder nach dem Ersten Weltkrieg. Es fehlte an Personal und an Mitteln für Plakatkampagnen, Informationsbroschüren oder Beschilderungen an den Denkmälern zur Aufklärung aller Nicht-Fachleute. Um diese dennoch zu erreichen, griff man anstelle teuren Marketings auf Elemente der seit der Mitte des 19. Jahrhundert entwickelten Erwachsenenbildung wie Vortragsabende und der Agitation zum Selbststudium zurück und verband sie mit genuin archäologischen Traditionen – der Arbeit im Altertumsverein, der Führung über Ausgrabungen und dem Ausgrabungsbericht in der örtlichen Zeitung. In diesen Formaten wurde in den 1920er Jahren intensiv an das Verantwortungsgefühl des Einzelnen oder der Einzelnen für den lokalen Denkmalschutz appelliert und je nach Sachlage vor Ort und je nach Temperament des Verantwortlichen wählte man dafür sehr emotionale Ausdrucksformen, gerne auch mit rhetorischen Anleihen bei den laufenden politischen Diskursen. Große Wirkung entfaltete das jedoch nicht; dagegen schuf der vereinzelte Ankauf von Fundplätzen durch Vereine wie den Sächsischen Heimatschutz Tatsachen.

Diese an den Volks- und an den Heimatbegriff gebundene Emotionalisierung, wie sie Frenzel anbot, fand während des Nationalsozialismus keine landesweite Fortsetzung oder gar Steigerung. Vielmehr setzten sich auch in dieser Zeit regional gewachsene Argumentationstraditionen zugunsten der Denkmalschutzidee weiter fort. Sie wurden ergänzt durch neue Orientierungen, die sich z. B. aus dem Interesse einiger NS-Politiker für die Dynastie der Ottonen und deren politische Zentren ergaben und nicht nur zu Ausgrabungen und Umbauten an der bestehenden Bausubstanz führten, sondern auch zur Inszenierung als Gedenkorte, wie Aleida Assmann diese Strategie nennt. Vielfach wurden nun, in den 1930er Jahren, archäologische Denkmalschutzgesetze erlassen, die seit der Jahrhundertwende auf Landesebene vorbereitet worden waren. Argumentationen und rhetorische Mittel blieben dabei an regionale Traditionen gebunden, so dass z. B. in Sachsen und damit auch der Oberlausitz archäologischer Denkmalschutz Teil des umfassenderen, 1934 erlassenen „Heimatschutzgesetzes“ war. Anderenorts wurde Schutzgesetze ergänzt durch die Umsetzung von überregionalen Maßnahmen nationalsozialistischer Organisationen. So hatte sich Ende der 1930er Jahre die Jugendorganisation der NSDAP, die Hitlerjugend, dem „Ehrenschutz über die Bodendenkmale“ verschrieben. Die dafür erlassenen Richtlinien vermittelten die Schutzbedürftigkeit archäologischer Denkmäler und verbanden die Schutzpflicht der Jugendlichen gegenüber diesen Denkmälern der Vorfahren mit einem persönlichen Ehrbegriff. Die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Veränderungen, die mit dem Zweiten Weltkrieg Deutschland und Europa erfassten, waren umfassend und gravierend und Belange des archäologischen Denkmalschutzes waren für Jahre, vielerorts auch für Jahrzehnte, praktisch bedeutungslos. Nach dem Ende des Krieges blieben in den westlichen Besatzungszonen bzw. der späteren Bundesrepublik die bestehenden Denkmalschutzgesetze gültig, ebenso der Mangel solcher Gesetze in einigen, nunmehr Bundesländern. In der sowjetischen Besatzungszone bzw. der späteren DDR fand eine dazu gänzlich verschiedene Entwicklung statt. Ohne öffentliche Beteiligung oder Information wurde von einer kleinen Gruppe Archäologen unter der Leitung Wilhelm Unverzagts ein archäologisches Denkmalschutzgesetz erarbeitet und schließlich 1954 beschlossen. Es galt für die gesamte DDR und entwarf eine Denkmalpflegeorganisation, die jeweils drei Bezirke der DDR zu einem Arbeitsgebiet zusammenfasste, das von je einer sog. Forschungsstelle und mehreren Außenstellen betreut wurde, die an den archäologischen Landesmuseen in Dresden, Weimar, Halle an der Saale, Schwerin und Potsdam angesiedelt wurden. Zusätzlich zu diesen explizit archäologischen Institutionen wurde an der Akademie der Wissenschaften der DDR in Ost-Berlin nicht nur die archäologische Forschung und Denkmalpflege zentral verankert und koordiniert, sondern eine ebenfalls von Unverzagt initiierten Kommission für Heimatforschung eingerichtet. Diese Kommission vermittelte archäologische Denkmäler und deren Schutzbedarf als Teil natürlicher und kultureller „Heimatwerte“ und informierte darüber in Vorträgen, vor allem aber in regionalen Informationsheften der Reihe „Wert der deutschen Heimat“. An den Denkmälern selbst informierten standardisierte Tafeln der zuständigen Denkmalämter an den Landesmuseen über deren Charakter als ein „Geschütztes Bodendenkmal“. In den Landesmuseen zeigten Dauer- und Sonderausstellungen ebenso wie in den westdeutschen Bundesländern das regionale vor- und frühgeschichtliche Kulturspektrum und die Aufgaben der Denkmalpflege.

Die fortgesetzte Vermittlung archäologischer Fundplätze und Denkmäler in beiden deutschen Staaten als Erbe der Vorfahren, dessen Schutz den Nachfahren obliegt, korrelierte mit einer internationalen Entwicklung. In den 1950er Jahren griff die 1945 gegründete UNESCO den seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert in Westeuropa gebräuchlichen Begriff des Kulturellen Erbes in ihrer Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut (1954) auf. Damit wurde der engere Kreis der schutzverantwortlichen Nachfahren unbegrenzt erweitert auf alle Menschen, was nun z. B. auch ermöglichte, Denkmalbeschädigungen in anderen als dem eigenen Land zu kritisieren und zu diskutieren. Zwischen 1965 und 1972 wurde dieses Konzept hin zur Idee eines vielfältigen Weltkulturerbes erweitert und zur Basis der seit 1975 gültigen Weltkulturerbe-Konvention der UNESCO. Auch wenn diese internationalen Debatten in beiden deutschen Staaten wahrgenommen wurden, konnten weder der landeshoheitliche archäologische Denkmalschutz in der Bundesrepublik noch die zentralisierte Bodendenkmalpflege in der DDR wirksam gegen die Sachzwänge des überall erforderlichen Wiederaufbaus argumentieren. In zahlreichen westdeutschen Städten und Gemeinden hatte man sich beim Wiederaufbau an der Idee der „autogerechten Stadt“ orientiert, was zu gravierenden Eingriffen in Bausubstanz und Stadtbild und letztlich auch zur Vernichtung von archäologischer Denkmalsubstanz geführt hatte. Vielerorts kam es zu Protesten, oft vergeblich, manchmal aber so erfolgreich wie der Widerstand des Heimatforschers Bernhard Hildebrand gegen die Überbauung des einst größten römischen Reiterkastells nördlich der Alpen in Aalen, der zu umfangreichen Beratungen im Gemeinderat und schließlich alternativen Bebauungsplänen und einem Limesmuseum führte. In der DDR hatten dagegen vor allem umfangreiche Wohnungsbauprogramme zu einer Veränderung der Städte und Gemeinden geführt. Auch der weitere Ausbau der Kohleförderung oder der Industrieproduktion wog stets schwerer als archäologischer Denkmalschutz oder die Interessen zeitintensiver archäologischer Prospektion und Forschung. Dennoch bemühten sich überall hauptamtliche und ehrenamtliche Denkmalpflegerinnen und Denkmalpfleger um die Sicherung oder wenigstens Dokumentation von archäologischen Funden und Fundplätzen, so dass auch im 20. Jahrhundert der archäologische Denkmalschutz ganz wesentlich vom Engagement Einzelner abhängig blieb.

Beklagt und diskutiert wurde die mangelhafte personelle und finanzielle Ausstattung der Denkmalpflege und die fortgesetzten Denkmalverluste fortwährend auf Fachtagungen oder in Fachgremien wie der 1961 berufenen Archäologischen Trier-Kommission, aber die Öffentlichkeit wurde lange Zeit damit nicht konfrontiert. Diese Kommission, welche die Landesregierung über den Wert der durch innerstädtische Baumaßnahmen gefährdeten römischen und frühchristlichen Denkmäler beraten und dadurch weiteren Substanzverlust verhindern sollte und deshalb fortwährend Konflikte auslöste, wandte sich wie viele andere archäologische Institutionen erst im Vorfeld des Europäischen Denkmalschutzjahres 1975 an die Öffentlichkeit. Die Europäische Union hatte dieses Jahr definiert, entsprechend fanden die damit vermittelten Ideen und Bewertungen nur zögerlich und indirekt ihren Weg hinter den Eisernen Vorhang. In der Bundesrepublik aber lösten die Vorbereitungen dieses Denkmalschutzjahres intensive fachinterne Debatten aus, in der Bau- wie in der Bodendenkmalpflege. Die Trier-Kommission veröffentlichte die Denkschrift „Rettet das römische Trier“ und beschrieb darin 21 Denkmäler, die in ihrem Bestand bedroht waren und für deren Erhalt man u. a. Schutzzonen vorschlug. Die Denkschrift verknüpfte Versachlichung und Emotionalisierung und konnte so vielfach adressiert werden: sie wurde feierlich dem zuständigen Landesminister übergeben, während die Terminologie und Zielsetzung dieser eindringlichen Beschreibung durch Ausstellungen und Veröffentlichungen in der westdeutschen Öffentlichkeit verbreitet wurden. Internationale Denkmaldebatten, kriegszerstörte Denkmäler und Großbauprojekte sensibilisierten für die Fragen des Denkmalschutzes und das Europäische Denkmalschutzjahr markierte schließlich den Beginn der modernen Denkmalpflege in Europa wie auch in beiden deutschen Staaten. Der solchermaßen sachlich wie emotional vermittelte Schutzauftrag traf auf eine Gesellschaft in Bewegung, was auch Einfluss nehmen sollte auf die Vermittlung archäologischer Denkmalwerte: Das westdeutsche „Wirtschafts-wunder“ etablierte endgültig touristisches Reisen als beliebte Freizeitbeschäftigung und auch in der DDR wurden Ausflüge und Fernreisen im Rahmen der politischen Möglichkeiten immer beliebter. Damit einher ging der Ausbau der touristischen Infrastruktur durch die Anlage von Wanderwegen und Zufahrten auch zu archäologischen Denkmälern, die Einrichtung von Hotels und Pensionen und der Ausbau bestehender Sammlungen und Museen bis hin zur Gründung neuer Ausstellungsräumlichkeiten. Archäologische Denkmäler wurden als Ausflugsziele nun erstmals zu einer Einnahmequelle, zu einem Publikumsmagneten und damit zu einem wirtschaftlichen und sozialen Faktor. Gleichzeitig hatte der Bericht des Club of Rome von 1972 über die „Grenzen des Wachstums“ die Notwendigkeit von Umweltschutz und nachhaltigen Wirtschaftsformen prominent formuliert, was sich tatsächlich auch bald in ersten archäologiebezogenen Projekten und Maßnahmen in beiden deutschen Staaten niederschlug. So wurden die Ideen von geschützten Naturräumen, von Naturparks und „sanftem Tourismus“ gestärkt, wovon auch viele der naturnahen archäologischen Denkmäler profitieren sollten. In Polen, der UdSSR und schließlich auch der DDR wurde die Einrichtung von archäologischen Reservaten beschlossen, die beides, Kultur- und Naturerbe, schützen sollte und auch in der BRD wurden z. B. durch die Anlage von Wanderwegen auf neue Art Kultur- und Naturerleben miteinander verbunden. In den entsprechenden Informationsmaterialien wurden sie als Wert beschrieben und der Öffentlichkeit wertvolle Erlebnisse und Erkenntnisse versprochen, also ein individueller Zugang zum kulturellen Erbe für eine Vielzahl von Menschen.

Mit der seit 1975 vertretenen Idee des kulturellen Welterbes konnten archäologische, vor allem aber auch Bau-Denkmäler in den letzten fünfzig Jahren eine zusätzliche Werterhöhung erfahren, die zusammen mit touristischer Erschließung und Einbindung die wirtschaftliche Bedeutung dieser Denkmäler weiter steigerte. Aus den Verfahren um die Bewerbung als Weltkulturerbe und aus der erzielten Einstufung als solches ergeben sich bis heute zwei große Aufgabengebiete für Marketing und öffentliche Vermittlung, die in den letzten Jahren ganz wesentlich zur Wahrnehmung von Denkmälern beigetragen haben. Mit der Welterbe-Idee etablierte sich ein Ranking von Denkmalwerten, das es auf nationaler und regionaler Ebene schon vorher gab, das aber nur fachintern ausgehandelt worden war. Bereits im 19. Jahrhundert war in einzelnen deutschen Staaten damit begonnen worden, denkmalwürdige Bau- und Bodendenkmäler in entsprechende Denkmallisten aufzunehmen, was deren Schutzwürdigkeit festschrieb. Auch diesen Festschreibungen gingen Diskussionen um den wissenschaftlichen und kulturellen Wert der potentiellen Denkmäler voraus, der nun, ab 1975, um die universelle Dimension erweitert wurde. Da die UNESCO aber nicht einfach bestehende Denkmäler inventarisiert, sondern auf Grund von Vorschlägen nur an exzeptionelle Objekte oder Strukturen das Prädikat „Welterbe“ vergibt, gehen den Vorschlägen Bewerbungen voraus, in welchen die Werte des Denkmals präsentiert und viele verschiedene Faktoren neben dem wissenschaftlichen und dem kulturgeschichtlichen Wert geltend gemacht werden.

Die Kampagnen zur Unterstützung solcher Bewerbungen schließen von Beginn an fachinterne, zivilgesellschaftliche, politische Zielgruppen ein und es werden Strategien der Emotionalisierung wie der Versachlichung mit einem hocheffizienten, seit einhundert Jahren geschulten Marketing-Instrumentarium eingesetzt. Erfolgreich waren bislang die Bewerbungen um den Welterbestatus für die römischen Bauten in Trier (1986), den Obergermanisch-Raetischen Limes (1987), die Grube Messel (1995), die süddeutschen Pfahlbauten (2011), paläolithisch genutzte Höhlen in Baden-Württemberg (2017), Haithabu und Danewerk (2018) und den Niedergermanischen und den Donau-Limes (2021). Aus den Sorgenkindern von einst werden so Orte mit Potential, die nicht nur Zeugnis über Vergangenes ablegen, sondern auch der Weiterbildung, dem Wohlbefinden und der regionalen, nationalen oder religiösen Identifikation dienen, Arbeitsplätze schaffen oder sichern und gelingenden Denkmalschutz darstellen.

Auch archäologische Denkmäler, denen diese Potentiale nicht zugeschrieben werden, sind spätestens seit den 1980er Jahren überall in Deutschland durch moderne Denkmalschutzgesetze und feingliederige Denkmalschutzbehörden geschützt und werden durch Museen und Ausstellungen erklärt und vermittelt. Aber die Denkmalschutzgesetze sind nicht in Stein gemeißelt und unterliegen Veränderungen oder gar einer Entwertung, während Bauwillige oder Schatzsuchende nach wie vor juristische Schlupflöcher finden und nutzen und dadurch Denkmalsubstanz vernichten. Das macht ein fortgesetztes Vermitteln der Denkmalwerte erforderlich, was in vielen medialen Formaten oft eng verknüpft wird mit der Beschreibung von Zielen und Methoden der archäologischen Forschung. Dabei wird aus einem seit nunmehr über 120 Jahren befüllten Reservoir aus wissenschaftlichen Versprechungen und individuellen wie kollektiven Werten geschöpft. Im Rückblick zeigt sich, dass die wissenschaftlich stabil basierten Einordnungen und Bewertungen von Denkmalwerten länger Gültigkeit behalten und deshalb bessere Schutzmotivationen erzeugen als Deutungsangebote, welche den Aussagewert der archäologischen Quellen überdehnen und nach politischen oder wissenschaftspolitischen Zäsuren kassiert werden. Bezugswerte wie „Volk“ oder „Heimat“ mobilisierten schon in den 1920er und 1930er Jahren letztlich kaum wirkungsvollen Denkmalschutz; einhundert Jahre später wirken sie in einer Einwanderungsgesellschaft erst recht verfehlt. Statt hinkender emotionaler Appelle durch Gruppenzuschreibungen sind archäologische Denkmäler überzeugender als begehbare Lernorte für die Prozesshaftigkeit aller Kultur, für vergangenes Sozial- und Umweltverhalten, für Menschsein unter verschiedenen, aber stets vergleichbaren Bedingungen zu vermitteln. Das ist so sachlich wie spannend.

ZITIERVORSCHLAG

Susanne Grunwald, Wie Fundplätze zu Sorgenkindern wurden. Zur Emotionalisierung der Denkmalpflege in Deutschland im 20. Jahrhundert, in: Stefan Schreiber – Monika Zöller-Engelhardt (Hrsg.), Sorge(n) des Lebens: Herausforderungen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aus Sicht der Ancient Studies (Mainz 2022) 6–17. DOI: 10.25358/openscience-8007

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